Andacht Heute

Nicht zutreffend, oder doch?

Die Liebe freut sich nicht, wenn Unrecht geschieht, aber wo die Wahrheit siegt, freut sie sich mit.
1. Korinther 13,6

Beim heutigen Vers über die Liebe könnte man sich fragen, was Paulus damit meint. Wie kommt er darauf, dass wir, die wir uns für „gute Christen“ halten, uns über das Unrecht in der Welt freuen könnten? Geht das nicht zu weit und trifft das überhaupt auf uns zu? Jedenfalls haben wir mit einer solchen Aussage zumindest ein Verständnisproblem.

Wie gut, dass es in vielen Bibeln Parallelstellen am Rand gibt, die uns weiterhelfen. In meiner Genfer Studienbibel steht Römer 1,32:
Und obwohl sie genau wissen, dass die, die so handeln, nach Gottes gerechtem Urteil den Tod verdienen, lassen sie sich nicht von ihrem Tun abbringen, im Gegenteil, sie finden es sogar noch gut, wenn andere genauso verkehrt handeln wie sie.

Hier kommt dieses lieblose Verhalten also noch einmal zur Sprache und macht uns neugierig, was mit diesem Handeln, das zum Tode führt, gemeint ist. In den Versen davor (Römer 1,29-31) wird es sehr deutlich beschrieben:

Es gibt keine Art von Unrecht, Bosheit, Gier oder Gemeinheit, die bei ihnen nicht zu finden ist. Ihr Leben ist voll von Neid, Mord, Streit, Betrug und Hinterhältigkeit. Sie reden abfällig über ihre Mitmenschen und verleumden sie. Gottesverächter sind sie, gewalttätige, arrogante und großtuerische Menschen, erfinderisch, wenn es darum geht, Böses zu tun. Sie gehorchen ihren Eltern nicht und sind unbelehrbar, gewissenlos, gefühllos und unbarmherzig. Und obwohl sie genau wissen, dass die, die so handeln, nach Gottes gerechtem Urteil den Tod verdienen, lassen sie sich nicht von ihrem Tun abbringen, im Gegenteil, sie finden es sogar noch gut, wenn andere genauso verkehrt handeln wie sie.

Da findet sich also ein ganzer Katalog unrechten Verhaltens. Und es ist auch keineswegs eine Abstufung von schwersten Vergehen hinab zu eher leichteren erkennbar. Wir hätten es vielleicht gerne, aber kein einziges davon ist vor Gott entschuldbar. Alle führen sie ungesühnt zum Tod. Und wer sich gewundert hat, dass Paulus davon spricht, dass es eine Freude über das Unrecht geben soll, und er sich das bei sich selbst nicht vorstellen konnte, der sollte über den Satz nachdenken: „Sie reden abfällig über ihre Mitmenschen und verleumden sie“. Kam da nicht auch schon mal zumindest klammheimlich bei ihm Freude auf, wenn er dabei war, als über einen Nachbarn getratscht wurde?

Weitere Schwachstellen

Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung, sie trägt keinem etwas nach.
1. Korinther 13,5

Im gestrigen Vers (13,4) ging es um Geduld und Freundlichkeit als Kennzeichen der Liebe und um die Vermeidung von Neid und Prahlerei. Heute sind es weitere vier Merkmale, an denen wir erkennen können, wenn es uns an Liebe fehlt. Es beginnt mit unserem Benehmen, mit der Höflichkeit gegenüber anderen. Es gibt fast täglich Gelegenheiten, sich hierin zu üben. Beispiele: Einem, der sich nur schwer ausdrücken kann, geduldig zuhören und ihm nicht ins Wort fallen. An der Supermarktkasse jemanden vorlassen, der es offensichtlich eilig hat. Bei Verabredungen pünktlich sein und andere nicht warten lassen. Es gäbe noch viele weitere Beispiele, ein weites Übungsfeld und kaum jemand hat hier nicht seine Schwächen.

Ein Hindernis für gutes Benehmen ist auch die Versuchung, den eigenen Vorteil ausspielen zu wollen. Als Verkäufer einer Sache liegt es oft nahe, einen Nachteil zu vertuschen und zu verschleiern. Das ist aber weder fair, schon gar nicht hat es etwas mit liebevollem Verhalten zu tun, auch wenn es im Geschäftsleben üblich ist. Wer in Auseinandersetzungen häufig die Beherrschung verliert, kann sich nicht auf sein Temperament herausreden. Er hat damit vielleicht kurzfristige Erfolge erzielt, weil er andere einschüchtern konnte, aber Zorn und Wut sind das Gegenteil von liebevollem Verhalten. Gerade als Christ hat man auch eine Vorbildfunktion und sollte sich hier zurücknehmen. Ich gebe zu, das ist nicht immer leicht. Ein weiteres großes Hindernis für die Liebe ist die Neigung, nachtragend und verbittert zu sein. Auch hier ist es schwer, sein Verhalten zu ändern, vor allem, wenn man unsere Würde verletzt hat, unser Vertrauen missbraucht wurde und wir uns ungerecht behandelt fühlen.

Ein großes Problemfeld tut sich auch im zweiten Vers des Korintherbriefes über die Liebe auf. Niemand kann von sich behaupten, hier alles im Griff zu haben. Umso mehr brauchen wir Gottes Beistand. Im Gebet können wir darum bitten, dass unsere Schwächen in liebevolles Verhalten umgewandelt werden.

Wascht euch, reinigt euch! Schafft mir eure bösen Taten aus den Augen, hört auf, Böses zu tun!
Jesaja 1,16

Wo bleibt die Liebe?

Liebe hat Geduld. Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid. Sie macht sich nicht wichtig und bläst sich nicht auf.
1. Korinther 13,4

Das Hohelied der Liebe beschreibt in vier Versen (1. Korinther 13,4-7), was Liebe ist und was sie nicht ist. Allein dieser erste Vers zeigt in erschütternder Weise, wie weit wir im Alltag oft vom Idealzustand entfernt sind. Wie oft fehlt mir da die nötige Geduld! Wenn ich im Supermarkt in der Schlange an der Kasse stehe und ein noch älterer Mann wie ich umständlich in seinem Portemonnaie nach Kleingeld sucht, vielleicht noch einen Scherz mit der jungen Dame an der Kasse machen will und es sogar zu genießen scheint, dass alle hinter ihm schon eine grimmige Miene gezogen haben. Wenn ich mit dem Auto einen Vordermann nicht überholen kann, der scheinbar genüsslich die vorbeiziehende Landschaft betrachtet. Ich könnte noch viele Situationen aufzählen, in denen mir die Geduld fehlt und damit auch die Liebe, wie Paulus es hier ausdrückt. Er sagt auch, dass die Liebe freundlich ist. Bin ich das immer? Ganz und gar nicht! Wie oft fehlen mir lobende Worte, die das Zusammenleben verbessern könnten?

Der Neid nimmt im Laufe des Lebens ab, das meine ich jedenfalls, bei mir feststellen zu können. Gerade die materiellen Güter sind ausreichend vorhanden, und es ist nicht mehr weit hin bis zu dem Punkt, an dem wir hier alles zurücklassen müssen. Trotzdem kommt eine abgeschwächte Form von Neid zum Vorschein, wenn ich sehe, wie leicht sich junge Menschen mit Dingen tun, die mir inzwischen schwer fallen. Aber schließlich haben wir ältere Semester ihnen unsere Lebenserfahrung voraus, was allerdings von den Jungen nicht selten als typische Wichtigtuerei der Gruftis gewertet wird.

Wenn ich weiter mein Alltagsleben kritisch betrachte, dann bin ich nicht mehr weit entfernt von einem eher beschämenden Fazit, was meine Liebesfähigkeit betrifft. Bin ich ein hoffnungsloser Fall? Trotzdem will ich morgen mit dem zweiten Liebesvers weitermachen. Inzwischen klammere ich mich an die Hoffnung, dass Jesus gerade für uns Sünder in die Welt gekommen ist und uns einen Weg aus unserer Liebesunfähigkeit gezeigt hat.

Erforsche mich, Gott, und erkenne, was in meinem Herzen vor sich geht; prüfe mich und erkenne meine Gedanken!
Sieh, ob ich einen Weg eingeschlagen habe, der mich von dir wegführen würde, und leite mich auf dem Weg, der ewig Bestand hat!

Psalm 139,23-24