Wenn Appelle uns antreiben
Friedemann Schulz von Thun hat ein Kommunikationsmodell entwickelt, in dem er beschreibt, wie wir eine Nachricht aufnehmen. In diesem Sinne können wir den Vers aus Galater mit unterschiedlichen „Ohren” vernehmen:
- Sach-Ohr: Paulus beschreibt ein Prinzip des christlichen Lebens in Gemeinschaft, nach dem Lasten gemeinsam getragen werden.
- Beziehungs-Ohr: Gott bzw. Paulus erklärt mir, dass dieses gegenseitige Unterstützen ein Ausdruck von Nähe und Solidarität ist.
- Mit dem Selbstoffenbarungs-Ohr hören wir aus dem Satz von Paulus etwas über seine persönliche Überzeugung, die er selbst erlebt hat.
- Appellohr: Darin steckt die Aufforderung zur tätigen Nächstenliebe.
Wenn ich die Bibel immer nur mit dem Appellohr lese, begebe ich mich in die Gefahr der Überforderung. Dann sage ich mir in diesem Beispiel: „Ich muss immer helfen, sonst erfülle ich das Gesetz Christi nicht.“ Damit wird dieser Vers zu einer moralischen Last, der ich nicht immer genügen kann, was mich letztlich enttäuscht zurücklässt. Versuchen wir stattdessen, den Vers so zu betrachten, wie er wirklich ist, d. h. mit allen vier Ohren.
Sachlich: Eine christliche Gemeinschaft funktioniert durch gegenseitige Unterstützung.
Beziehung: Im Miteinander bin ich bin getragen und darf andere tragen.
Selbstoffenbarung: Paulus spricht aus dieser gelebten Erfahrung.
Appell: Auch ein Impuls zur Hilfsbereitschaft geht davon aus.
Wenn wir die Bibel nicht allein mit einem Ohr lesen und darin nicht nur Aufforderungen an uns wahrnehmen, werden wir uns nicht so leicht getrieben fühlen. Schließlich ist lange nicht jeder Satz der Heiligen Schrift mit einem Ausrufezeichen versehen, der uns zum Handeln drängt. Lassen wir uns nicht von uns selbst oder anderen unter Druck setzen, nur weil wir auf Appelle so stark reagieren.