Andacht Heute

Glaube kann man nicht erzwingen

Demnach kommt der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort.
Römer 10,17

Auf die Vorgeschichte von Luthers Invokativpredigten bin ich gestern eingegangen. Es waren, wie gesagt, acht Predigten, die er in der Marienkirche zu Wittenberg vom 9. bis zum 16. März 1522 gehalten hat. In der kürzeren Predigt am Montag beschäftigte er sich mit der Sinnlosigkeit eines erzwungenen Glaubens: „Ich kann nicht weiter an Menschen herankommen, als bis zu deren Ohr; in ihr Herz kann ich nicht kommen. Und weil ich den Glauben nicht in ihr Herz gießen kann, so kann und darf ich sie niemals zwingen oder bedrängen, denn Gott tut es alleine und ‚macht‘, dass er im Herzen (der Menschen) lebt.“ Er rechnete in dieser Predigt mit Fanatikern des Glaubens und mit Institutionen der Kirche ab, die Menschen oft zu wenig Spielraum für die individuelle Glaubensentscheidung einräumten, sondern Zwang und Manipulation einsetzten.

Für Martin Luther war der Glaube eine zutiefst persönliche Angelegenheit, die nicht durch äußeren Druck entstehen kann. Er betonte, dass der wahre Glaube aus dem Herzen kommen müsse und allein durch die Gnade Gottes und das Hören des Evangeliums geweckt werde. Zwang würde lediglich zu äußerlichem Gehorsam führen, nicht aber zu einer echten inneren Überzeugung. Luther glaubte, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, nicht durch Werke oder äußere Handlungen. Daher hielt er es für sinnlos, jemanden zu einem Glauben zu zwingen, den er nicht aus freiem Willen und Überzeugung annimmt. Für ihn war der Glaube ein Geschenk Gottes, das nicht erzwungen, sondern nur empfangen werden kann.

Invokavit – ein geschichtlicher Exkurs

Ruft er mich an, so will ich ihn erhören.
Psalm 91,15

Der 1. Sonntag der Passionszeit wird bei den evangelischen Christen Invokavit genannt, weil dies von der lateinischen Version „Invocabit me, et ego exaudiam eum“ kommt. Martin Luther hat vom 9. bis zum 16. März in Wittenberg seine berühmten Invokavitpredigten gehalten. Er war mit der Reichsacht belegt worden, d.h. seine Tötung war jederzeit möglich. Kurfürst Friedrich der Weise schützte ihn, indem er ihn auf die Wartburg bringen ließ. Währenddessen radikalisierten sich die reformatorischen Bewegungen in Deutschland. In Wittenberg feierte Andreas Karlstadt die Messe ohne Messgewand, in deutsch und entfernte alle Bilder aus der Kirche. Viele Gläubige überforderte dies, sie hatten nicht mehr das Gefühl einem ordentlichen Gottesdienst beizuwohnen, es kam zu Tumulten auch während der Messe. Luther kam dies zu Ohren und er entschloss sich, die Wartburg zu verlassen, um in Wittenberg die Situation wieder zu beruhigen. Ich gebe die Zusammenfassung (Wikipedia) seiner ersten Predigt wieder:

  1. Einleitung: Jeder Mensch ist am Ende seines Lebens dafür verantwortlich, dass er den Glauben richtig gelernt hat; deshalb will er nun einige Grundsätze klarmachen.
  2. Wir sind Kinder des Zorns und dürfen daher nicht auf unsere eigenen Entscheidungen und Handlungen stolz sein oder uns gar eine Belohnung von Gott erwarten.
  3. Allein der Glaube an den Sohn Gottes rettet vor der Verdammnis.
  4. „Wir müssen auch den Glauben haben und durch die Liebe einander tun, wie Gott uns durch den Glauben getan hat … Gott will keine Zuhörer oder Nachplapperer des Wortes (Gottes), sondern Nachfolger und Ausübende.“
  5. Was bedeutet 4) nun? Zwar ist mit dem Apostel Paulus „alles erlaubt, aber deshalb noch lange nicht alles förderlich“.
  6. Das Hauptstück der Argumentation: Zwar ist es dem Wort Gottes entsprechend, die (lateinische) Messe abzuschaffen, aber ist es auch sinnvoll, dies in dieser Eile zu tun? Denn:
    a) Brauchen nicht alle Menschen eine Kindheit, in der sie liebevoll von der Mutter mit weicher Nahrung aufgezogen werden? Verlangt denn eine Mutter von ihren Kindern, dass sie sofort erwachsen werden müssen? Die Wittenberger sind noch „Kinder im Glauben und schwach im Glauben“; ihnen das Gewohnte zu entziehen, wäre „lieblos“ und daher unchristlich und auch sinnlos.
    b) Hätte Luther nicht selbst längst all dies tun können? Hätte er nicht längst die lateinische Messe abschaffen etc. können? Er war schon längst soweit – aber was hätten dann jene gesagt, die nun gerade erst zu dieser Erkenntnis gelangt sind? Wären sie nicht genauso überfordert gewesen? Und hätte er dann nicht völlig alleine dagestanden? Was soll dieses überstürzte (und unbedachte) Handeln also dem Anliegen (der Reformation) helfen?

Und bezüglich der Wirkungsgeschichte heißt es in Wikipedia:

Die besondere Bedeutung der Invokavitpredigten liegt in der Ausrichtung, die Luther damit der Reformation in Deutschland gegeben hat: „Friedliche Reformation, nicht gewaltsame Revolution“.

Die Invokavitpredigten geben in den lutherischen Kirchen das Grundschema für Konfliktlösungen vor: „Überzeugen aus der Kraft des Wortes Gottes heraus, nicht durch Einsatz von Gewalt!“

Schlussendlich umstritten bleibt die Argumentation Luthers gegen Karlstadt: Dieser habe zwar an sich mit seinen Reformen recht, habe sie aber ohne Rücksichtnahme auf „die Schwachen“ in der Gemeinde zu schnell durchgeführt. Wirkungsgeschichtlich zeigt sich, dass praktisch genommen jede Reform in den lutherischen Kirchen genau mit diesem Argument endlos hinausgezögert werden kann.

Die Frage nach dem Wohin

Da sprach Jesus zu den Zwölfen: Wollt ihr nicht auch weggehen? Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes!
Johannes 6,67-69

Dieses wunderbare Bekenntnis des Petrus gibt uns auch heute noch zu denken. Nach einer Rede Jesu kehrten ihm viele den Rücken, teils aus der Einsicht heraus, den Anforderungen nicht gerecht werden zu können, teils aus Angst vor Verfolgung. Zweifellos gehörte damals mehr Mut dazu, sich offen zu Jesus zu bekennen als heute. Viele Menschen haben sich inzwischen aus unterschiedlichen Gründen vom Glauben zurückgezogen. Vielleicht haben sie negative Erfahrungen in Kirchengemeinden gemacht. Oder sie finden, dass der wissenschaftliche Fortschritt im Widerspruch zum einfachen Schöpferglauben steht. Oder sie leben einfach ihr Leben, wie es ihnen gefällt, ohne jede geistliche Bevormundung. Sie alle haben Jesus verlassen und sind ihren eigenen Weg gegangen. Wohin hat sie das geführt? Hat es sie glücklicher gemacht? Die Frage des Petrus bleibt bestehen.

Siehe, wer halsstarrig ist, der wird keine Ruhe in seinem Herzen haben, der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben. 
Habakuk 2,4