Andacht Heute

Die ganze Fülle der Liebe

Bleibt also niemandem irgendetwas schuldig außer dem einen: einander zu lieben. Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Die Gebote: „Du sollst die Ehe nicht brechen, du sollst niemand ermorden, du sollst nicht stehlen, du sollst der Begierde keinen Raum geben“ und alle anderen sind ja in dem einen Satz zusammengefasst: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses an. Darum wird durch die Liebe das ganze Gesetz erfüllt.
Römer 13,8-10

„Schulden“ oder „schuldig sein“ kann als Rückstand verstanden werden, der beglichen werden muss, z. B. Mietschulden. Daneben kann es eine Verpflichtung bedeuten, wie das Schulden von Respekt den Eltern gegenüber. Damit werden Leistungen verbunden, die zu erfüllen sind. „Lieben“ geht darüber hinaus. Hier komme ich nicht an eine Grenze im Sinne von: „Jetzt muss es aber mal genug sein, ich habe meine Schulden bezahlt oder ich habe dem anderen genug Respekt erwiesen.“ Liebe ist viel mehr, sie überströmt das Geforderte. Sie ist auch die ganze Fülle des Gesetzes. Darin werden alle Gebote auf einen Nenner gebracht. Wo die Liebe nicht vorhanden ist, werden alle Forderungen, das Liebesgebot zu erfüllen, zu einem weiteren Gesetz, das nur als Abtragung von Schuld und damit als Selbstrechtfertigung missverstanden wird.

Die Botschaft des Römerbriefs geht weit über das hinaus, was häufig unter christlicher Nächstenliebe verstanden wird und gewohnheitsmäßig bis zu einem gewissen Maße dem anderen zugestanden wird. Indem ich sie mir schweren Herzens abringen muss, ist sie schon nicht mehr Liebe. Ich kann ihr näherkommen, wenn mir bewusst wird, wie groß die Liebe Gottes gewesen sein muss, dass er seinen einzigen Sohn zu uns Sündern gesandt hat.

Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe.
Johannes 15,12

Unterordnung unter die Obrigkeit

Jeder soll sich den Trägern der staatlichen Gewalt unterordnen. Denn alle staatliche Gewalt kommt von Gott, und jede Regierung ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die von Gott eingesetzte Ordnung und wird zu Recht bestraft. Denn wer Gutes tut, hat von den Regierenden nichts zu befürchten. Das hat nur der, der Böses tut. Wenn du also nicht in Furcht vor der Regierung leben willst, dann tue Gutes, und du wirst von ihr gelobt werden. Sie steht ja zu deinem Besten im Dienst Gottes. Tust du aber Böses, hast du allen Grund, sie zu fürchten, schließlich ist sie nicht umsonst die Trägerin von Polizei- und Strafgewalt. Auch darin ist sie Gottes Dienerin. Sie zieht den Schuldigen zur Verantwortung und vollstreckt damit das Urteil des göttlichen Zorns. Es ist also notwendig, sich dem Staat unterzuordnen, nicht nur aus Angst vor Strafe, sondern auch wegen des Gewissens. Deshalb zahlt ihr ja auch Steuern. Denn die Staatsbeamten handeln als Beamte Gottes, wenn sie beharrlich darauf bestehen. Gebt also jedem, was ihr ihm schuldig seid! Wem Steuern zustehen, dem zahlt Steuern, wem Zoll zusteht, dem zahlt Zoll. Wem Respekt zusteht, dem erweist Respekt, und wem Ehre zusteht, dem erweist Ehre.
Römer 13,1-7

Dieser Abschnitt des Römerbriefs ermahnt Christen, sich nicht gegen die staatliche Obrigkeit aufzulehnen. Man könnte sie als eine Rechtfertigung eines blinden Gehorsams gegenüber weltlichen Obrigkeiten sehen. Als junger Mensch war ich entsetzt über diese Worte des Paulus. Sie brachten mich zu einer Haltung der kritischen Distanz der Bibel gegenüber. Aus heutiger Sicht betrachte ich sie eher als einen Appell zur Vernunft und zur Loyalität der staatlichen Ordnung gegenüber, da diese grundsätzlich von Gott eingesetzt wurde. Natürlich stellt sich die Frage, ob dies auch für Diktatoren und despotische Herrscher gilt oder nur für Demokratien.

In meinem Kommentar mit dem Titel „Respekt vor dem Staat“ vom 18.08.2022 habe ich die für Christen notwendige Abgrenzung zwischen Anerkennung jeglicher staatlichen Autorität und zivilen Ungehorsam so beschrieben: „Schlimmer als eine für alle sichtbare fehlerhafte Obrigkeit, wäre die Anarchie und damit die Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung. Der zivile Ungehorsam ist einem Christen nur dann erlaubt, wenn Regierungen es ihnen verbieten würden, Gottes Forderungen zu erfüllen.“ Womit die Verfolgung von Christen und das Verbot von jeglichem Dienst an Gott gemeint ist.

Reaktionen auf das Böse

Soweit es irgend möglich ist und soweit es auf euch ankommt, lebt mit allen Menschen in Frieden! Rächt euch nicht selbst, ihr Lieben, sondern lasst Raum für den Zorn Gottes! Denn in der Schrift steht: „Es ist meine Sache, das Unrecht zu rächen, sagt der Herr, ich werde Vergeltung üben!“ „Wenn dein Feind hungrig ist, gib ihm zu essen; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken! Denn wenn du das tust, sammelst du feurige Kohlen auf seinen Kopf. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse mit dem Guten!“
Römer 12,18-21

Nach Paulus sollten Christen friedensstiftend wirken. Sie stoßen an Grenzen, weil sie es mit heftigen Gegnern zu tun haben können. Wenn sie Unrecht erleben mussten, sollten es ihnen nicht um Rache gehen, weil sie dies getrost dem HERRN überlassen können.

Die Redewendung „feurige Kohlen auf seinen Kopf sammeln“ steht für die Möglichkeit, den Sünder zur Reue zu führen, wenn man ihm Gutes erweist. Im Gegensatz zur Rache kann man ihn durch Verzeihen und Großmut Scham erwecken. Sein Kopf soll erglühen, soll rot werden. Das Böse soll nicht siegen, sondern besiegt werden vom Guten. Mit der Rache gibt man ihm nur neue Nahrung und es käme zu keinem Umdenken beim Aggressor. Er wird neue Gräueltaten damit rechtfertigen können, ohne sein Tun infrage zu stellen. Das heißt aber nicht, dass ein Christ alles Unrecht schweigend hinnehmen muss. Häufig wird die folgende Stelle in der Bergpredigt falsch verstanden, als Aufforderung zur stillen Duldung durch Jesus:

Wenn Dich jemand auf Deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.
Matthäus 5,39

In vielen Kulturen war ein Schlag mit der rechten Rückhand ein Zeichen der Demütigung und Beleidigung. Wer danach demonstrativ die linke Backe anbietet, stellt damit die Frage nach dem Warum dieser Handlung und er gibt zu verstehen, dass hier Unrecht geschieht. Als Christ soll man versuchen, aus der Gewaltspirale zu entkommen, indem wir nicht Böses mit Bösem vergelten. Dies bedeutet aber nicht, dass man das Unrecht nicht ansprechen darf. Es bedeutet auch nicht, dass man ganz auf Selbstverteidigung verzichten muss, seine Familie und den Nächsten bei Bedrohung nicht schützen darf.