Andacht Heute

Wo bleibt die Liebe?

Liebe hat Geduld. Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid. Sie macht sich nicht wichtig und bläst sich nicht auf.
1. Korinther 13,4

Das Hohelied der Liebe beschreibt in vier Versen (1. Korinther 13,4-7), was Liebe ist und was sie nicht ist. Allein dieser erste Vers zeigt in erschütternder Weise, wie weit wir im Alltag oft vom Idealzustand entfernt sind. Wie oft fehlt mir da die nötige Geduld! Wenn ich im Supermarkt in der Schlange an der Kasse stehe und ein noch älterer Mann wie ich umständlich in seinem Portemonnaie nach Kleingeld sucht, vielleicht noch einen Scherz mit der jungen Dame an der Kasse machen will und es sogar zu genießen scheint, dass alle hinter ihm schon eine grimmige Miene gezogen haben. Wenn ich mit dem Auto einen Vordermann nicht überholen kann, der scheinbar genüsslich die vorbeiziehende Landschaft betrachtet. Ich könnte noch viele Situationen aufzählen, in denen mir die Geduld fehlt und damit auch die Liebe, wie Paulus es hier ausdrückt. Er sagt auch, dass die Liebe freundlich ist. Bin ich das immer? Ganz und gar nicht! Wie oft fehlen mir lobende Worte, die das Zusammenleben verbessern könnten?

Der Neid nimmt im Laufe des Lebens ab, das meine ich jedenfalls, bei mir feststellen zu können. Gerade die materiellen Güter sind ausreichend vorhanden, und es ist nicht mehr weit hin bis zu dem Punkt, an dem wir hier alles zurücklassen müssen. Trotzdem kommt eine abgeschwächte Form von Neid zum Vorschein, wenn ich sehe, wie leicht sich junge Menschen mit Dingen tun, die mir inzwischen schwer fallen. Aber schließlich haben wir ältere Semester ihnen unsere Lebenserfahrung voraus, was allerdings von den Jungen nicht selten als typische Wichtigtuerei der Gruftis gewertet wird.

Wenn ich weiter mein Alltagsleben kritisch betrachte, dann bin ich nicht mehr weit entfernt von einem eher beschämenden Fazit, was meine Liebesfähigkeit betrifft. Bin ich ein hoffnungsloser Fall? Trotzdem will ich morgen mit dem zweiten Liebesvers weitermachen. Inzwischen klammere ich mich an die Hoffnung, dass Jesus gerade für uns Sünder in die Welt gekommen ist und uns einen Weg aus unserer Liebesunfähigkeit gezeigt hat.

Erforsche mich, Gott, und erkenne, was in meinem Herzen vor sich geht; prüfe mich und erkenne meine Gedanken!
Sieh, ob ich einen Weg eingeschlagen habe, der mich von dir wegführen würde, und leite mich auf dem Weg, der ewig Bestand hat!

Psalm 139,23-24

Man lernt nie aus

HERR, zeige mir deine Wege und lehre mich, auf deinen Pfaden zu gehen!
Psalm 25,4

Ich höre gerne Predigten, nicht nur im Gottesdienst, sondern auch zu Hause im Internet. Dabei baue ich in mir jedes Mal eine Art gespannte Aufmerksamkeit auf. Ich bin neugierig, was der Prediger oder die Predigerin zu sagen hat. Was wird Neues auf mich zukommen? Es gibt kaum eine Predigt, die nichts Nachdenkenswertes enthält. Ich mache allerdings auch keinen Hehl daraus, dass ich kein Freund von überlangen und schlecht strukturierten Predigten bin. Wenn jemand immer wieder die gleichen Gedanken umwälzt und einfach kein Ende findet, dann halte ich das für eine Zumutung den Hörern gegenüber.

Natürlich frage ich mich nach einer Predigt, was für mich besonders wichtig war, was zum Weiterdenken anregt und auch, was eher befremdlich war. Letzteres ist oft am interessantesten, weil die Fragen, die sich daraus ergeben, auch eigene Denkblockaden aufdecken können. Warum verstehe ich diesen Gedanken nicht, warum erscheint er mir so sperrig? Gut, wenn diese Selbstreflexion schon während der Predigt einsetzt, noch besser, wenn sich die Gelegenheit ergibt, den Prediger danach darauf anzusprechen. Aber meistens dauert dieser geistige Gärungsprozess bei mir länger. Zum Glück habe ich eine Frau, mit der ich solche Irritationen besprechen kann. Dieser Austausch, der auch mit anderen Glaubensgeschwistern stattfinden kann, ist fast immer anregend und fruchtbar.

Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich, denn du bist der Gott meines Heils; auf dich harre ich allezeit.
Psalm 25,5

Das Märchen vom guten Menschen

So steht es in Gottes Gesetz, und wir wissen: Das Gesetz gilt gerade für die, denen es gegeben wurde. Deshalb kann sich keiner herausreden. Alle Menschen auf der Welt sind vor Gott schuldig.
Römer 3,19

Ich habe mich gefragt, woher die Überzeugung kommt, dass der Mensch doch grundsätzlich gut und keinesfalls ein Sünder ist. Das hat uns kürzlich ein offensichtlicher Atheist vor einem Supermarkt klarmachen wollen. Dieses Denken, dass es nur eine christliche Einschüchterungstaktik sei, jedem einreden zu wollen, dass er ein Sünder sei, ist heute weit verbreitet. Es war nicht überraschend, dass ich auf der Suche nach seinem Ursprung in der europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts fündig wurde. Und da waren es Engländer wie Shaftesbury, Hutcheson, Hume und A . Smith, die entscheidende Impulse gaben. Sie wandten sich vom traditionellen Tugend-Laster-Gegensatz ab und vertraten eine monistische Ethik. Menschliches Verhalten bewege sich nicht zwischen Gut und Böse, sondern es gebe nur das Gute. Alle Laster seien nur Deformationen des Guten. Außerdem hätten wir es mit einem absolut wohlwollenden Schöpfer zu tun, der bei all unseren Taten ein Auge zudrückt.

Solche Überlegungen werden beim Studium der Bibel als Wunschdenken entlarvt. Es ist verführerisch, von einem Gott zu träumen, der uns alles durchgehen lässt. Aber nicht nur das: Es wäre schrecklich, wenn unser Verhalten nur von unserem eigenen Egoismus geleitet würde und keiner Moral unterworfen wäre, die von Gott kommt. In der Geschichte der Menschheit hat es solche Despoten gegeben, und wir wissen nur zu gut, welches Ende das jedes Mal genommen hat.

Denn alles, was in der Schrift steht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: Sie unterrichtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richtigen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen.
2. Timotheus 3,16