2. Fortsetzung
Zeugnis eines Rabbiners
Nach zwei Misserfolgen und gelegentlichen Diensten in einer kleinen Synagoge, verließ er sein Heimatland und fuhr mit seiner Frau und fünf Kindern nach Kanada. Der Rabbiner der portugiesischen Gemeinde in Montreal Dr. DeSola, empfahl den jungen ungarischen Rabbiner an die Gemeinde von Quebec. So wurde Charles Freshman gleich nach seiner Ankunft in der neuen Welt zum Rabbiner der Gemeinde in Quebec berufen. Er begann sofort die englische Sprache zu lernen worin er allerdings nur langsam Fortschritte machte.
Die Gemeinde, in welcher Rabbiner Freshman amtierte, bestand aus verschiedenen Nationalitäten, hauptsächlich aus deutschen und englischen. Er suchte ihnen auf Hebräisch und Deutsch zu dienen. Erst nach langer Zeit hielt er seinen ersten Gottesdienst in Englisch. Dem Sabbattag gaben die Juden wenig Beachtung. Viele, die an dem Dienst in der Synagoge teilnahmen, gingen gleich danach zurück an ihren Geschäftsplatz oder jagten den Vergnügungen nach.
Über diesen Mangel an Frömmigkeit war der streng orthodoxe Rabbiner sehr entsetzt und trat gegen viele von ihnen auf, indem er sie ernstlich über ihr Verhalten tadelte. Doch hatte er wenig Einfluss.
Langsam begann der Geist Gottes im Herzen des Rabbiners zu wirken. Oft wenn er durch die Straßen ging und viele Menschen zu den christlichen Kirchen herbeiströmen oder aus Gottesdiensten kommen sah, wurden seine Gedanken in verschiedener Hinsicht bewegt. Manchmal dachte er: „Wie schade, dass eine solche Volksmenge so leicht einen falschen Glauben annimmt und gotteslästerlich einen Menschen anbetet.“
Dann wiederum meint er: „Hier sind intelligente Leute, gebildete Menschen, die die menschliche Natur gut kennen. Sie haben die alttestamentlichen Schriften, genauso wie ich, und sind gewohnt, Verstand und Urteilsvermögen in ihrer weltlichen Entscheidung zu brauchen. Ich bin überzeugt sie würden nicht volles Vertrauen in die christliche Religion setzen, ohne ein festes Fundament zu haben. Was aber, wenn ich bis heute nur eine Seite der Frage geprüft habe? Was, wenn sie auf dem rechten Weg sind und ich auf dem verkehrten?“
Oft stieß er derartige Gedanken als Versuchungen des Teufels von sich; doch kehrten sie immer wieder zurück. Einmal nachdem er über die Wiederherstellung Israels gepredigt hatte, empfand er, dass er selbst nicht völlig glaubte, was er verkündet hatte. In diesem unbefriedigenden Zustand ging er an seinen Schreibtisch und schloss vorsichtig eine Schublade auf, zitternd als ob er im Begriff war, ein großes Verbrechen zu begehen.
Verborgen in der Schublade befand sich eine fein gebundene Ausgabe des Alten und Neuen Testaments. Jahre zuvor, während der letzten Zeit seiner Wanderschaft in Ungarn, war ihm in einem Hotel in Cashow ein Evangelist der schottischen Kirche begegnet und hatte ihn überredet, dieses Buch zu kaufen. Nie hatte er hineingeschaut.
Als er nach Quebec kam und seine Bücher auspackte, fand er diese Ausgabe, die er vermeintlich in Ungarn gelassen hatte. Sofort verschloss er sie unter seinen Privatpapieren, damit niemand entdecken sollte, dass er ein solches Buch besaß. Er fühlte sich schuldig, weil er das Buch nicht sofort vernichtet hatte. Sicher hatte Gott ihn geleitet, das Buch zu bewahren, um dadurch sein Ziel zu erreichen.
Nun, in der Stunde voll Angst und Zweifel, nahm er die Bibel aus der Schublade und schloss die Tür fest zu. Dann sicher vor allen Unterbrechungen und Beunruhigungen, öffnete er das Neue Testament und begann hastig darin zu lesen. Schon nach kurzer Zeit aber warf er es in großer Entrüstung von sich, indem er ausrief: „Das kann nicht sein!“ Doch bald hob er es wieder auf, um etwas mehr zu lesen und wieder warf er es von sich. So ging es weiter etwa eine Stunde.
Nachdem er es wieder einmal aufgenommen und darin gelesen hatte, wurde er so aufgeregt, dass er das Buch mit solcher Heftigkeit auf den Boden warf, dass mehrere Blätter herausfielen. Für einen Augenblick von Reue erfasst, hob er die losen Blätter auf und legte sie zurück. Dann verschloss er es, und nahm sich vor, es nie wieder zu öffnen.
Der Abend kam. Freshman war so unruhig, dass er seine gewohnten Aufgaben in der Synagoge kaum verrichten konnte. Eine schlaflose Nacht folgte, dann ein anderer Tag in bangen, verwirrenden Gedanken. Endlich fasste er den Entschluss, sorgfältig die Propheten zu studieren, besonders solche, die auf das Kommen des Messias hinwiesen.
Als er damit beschäftigt war, besuchte ihn ein Rabbi von Jerusalem, und Rabbi Freshman benutze diese Gelegenheit, den gelehrten Mann betreffs des Messias zu befragen. Leider konnte der Rabbi von Jerusalem seine Fragen nicht beantworten. So begann Frischmann ernstlich anzunehmen, dass etwas mit dem jüdischen Glauben verkehrt sei, und wie Christen recht haben könnten. Er begann sogar seine Gedanken einigen Gliedern seiner Gemeinde mitzuteilen. Trotz aller gefassten Vorsätze las er wieder das Neue Testament, jetzt mit großer Sorgfalt.
3. Fortsetzung morgen